In: Neues Deutschland vom 19.07.2008Wie prägt sich in einem Land das Bild von einem anderen? Die Wissenschaft leistet ihren vielfarbigen Beitrag, aber erstens ist auch sie nie von der Politik unabhängig, und zweitens sind von viel größerem Gewicht Erlebnisberichte, Reisebeschreibungen, »populäre« Darstellungen und: der »Zeitgeist«, der sich allem auflagert. Im August 2007 präsentiert »Der Spiegel« auf seiner Titelseite ein chinesisches Gesicht und die Textzeile »Die gelben Spione«.

Adolphi 2008: Dass niemals ein Chinese es wagt … Ein Streifzug durch die chinesische Geschichte (Teil 1)

In: Neues Deutschland vom 19.07.2008

Wie prägt sich in einem Land das Bild von einem anderen? Die Wissenschaft leistet ihren vielfarbigen Beitrag, aber erstens ist auch sie nie von der Politik unabhängig, und zweitens sind von viel größerem Gewicht Erlebnisberichte, Reisebeschreibungen, »populäre« Darstellungen und: der »Zeitgeist«, der sich allem auflagert.

Im August 2007 präsentiert »Der Spiegel« auf seiner Titelseite ein chinesisches Gesicht und die Textzeile »Die gelben Spione«. Gemeint sind die einigen Zehntausend chinesischen Studentinnen und Studenten in Deutschland. Der Bezug auf die „gelbe Gefahr“, vor der deutsche Kaufleute schon Mitte des 19. Jahrhunderts glaubten warnen zu müssen, ist gewollt. Es gibt eine lange Tradition des fast schon hysterischen Angstgefühls, das sich ein Ventil in einer Selbstüberhebung sucht, in der China nur als Feind denkbar ist. Aggressivität und Rassismus haben in dieser Selbstüberhebung einen festen Platz.

»Kommt Ihr vor den Feind«, so hatte Kaiser Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven die Soldaten des deutschen Expeditionskorps, mit dem der Aufstand der Yihetuan, der »Boxer«, in China niedergeschlagen werden sollte, beschworen, »so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! ... Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!«

Als der Kaiser dies sagt, kann er sich auf ein Bild Chinas und »des Chinesen« in Deutschland stützen, in dem Verachtung, Zurücksetzung und Mystifizierung eine unheilvolle Verbindung eingehen. Nur ein paar Beispiele aus vielen: 1894 schreibt der »Globetrotter« Leutnant Graf von Koenigsmarck, dass »die Dickfelligkeit, Schwerfälligkeit, das stupide, falsche und hinterlistige Aussehen der chinesischen boys (gemeint sind die Kellner – W.A.) selbst den ruhigsten Menschen aufbringen« mussten. Nur scheinbar besser meint es der Diplomat Max von Brandt, wenn er 1901 resümiert: »Als Diener ist der Chinese unübertrefflich.« Im »China-Kürschner« von 1901, herausgegeben aus Anlass der »siegreichen Heimkehr« der Niederschläger des Boxer-Aufstandes, beschreibt Armand Freiherr v. Schweiger-Lerchenfeld China als »das Starre, das Unbewegliche, das Absonderliche«, als einen »erratischen Block der Menschheit«, der »unnahbar und unbeeinflussbar … dem Kulturforscher sich darbietet«. Und an anderer Stelle teilt der Freiherr mit: »Die Chinesen lügen instinktiv.«

Nun haben natürlich nicht alle deutschen Missionare und Kaufleute, Naturforscher, Diplomaten, Politiker, Militär- und Wirtschaftsberater, Journalisten, Studenten und Wissenschaftler, die zuvor und seither in Büchern, Zeitschriften, Zeitungen und mit Fernsehreportagen und Internetauftritten ihre China-Erlebnisse geschildert und ihre Ansichten kund getan haben, in die gleiche Kerbe gehauen. Auf dem turbulenten Marktplatz der China-Gefühle, der in zwei Jahrhunderten China-Beschreibung entstanden ist, war immer alles zugleich im Angebot: neben der Ablehnung die Verklärung, neben der niederschmetternden Verachtung die hochfliegende Anbetung, neben dem Abscheu die Faszination. Allzu selten allerdings hatte eine ruhige Mitte des Urteils eine Chance. Durchgesetzt haben sich in beängstigender Weise immer wieder die Feindbilder – und nicht das, was doch eigentlich das Selbstverständlichste sein müsste: die Anerkennung von Gleichberechtigung, die Durchsetzung des Grundsatzes »Alle Menschen sind gleich«.

Auch jetzt wieder – siehe den »Spiegel«-Titel – dominiert die Feindbild-Pflege. Der renommierte Chinakenner Georg Blume hat Recht, wenn er in seinem gerade erschienenen Essay »China ist kein Reich des Bösen. Trotz Tibet muss Berlin auf Peking setzen« Angela Merkel vorwirft, mit ihrer Chinapolitik den »politischen Nährboden für die kollektive Projektion von China als neuem Reich des Bösen« geschaffen zu haben, und Recht hat er auch, wenn er dem »deutschen politischen Journalismus« daran »entscheidende Mitverantwortung« zuweist.

Zu denen, die dem Gleichheitsgrundsatz im Chinabild Gestalt zu verleihen versuchten, gehörten deutsche Kommunisten und linke Intellektuelle. Die Schilderungen der chinesischen Revolution in den zwanziger Jahren durch Asiaticus (Heinz Grczyb) und Egon Erwin Kisch; dann in der DDR die ins Deutsche übersetzten Werke der Agnes Smedley, das Kinderbuch »Das eiserne Büffelchen« der Alex Wedding und die Erinnerungen der Ruth Werner sowie in der BRD die Erinnerungen der Anna Wang seien als Beispiele genannt. Freilich lag auch über diesen China-Schilderungen immer der Schatten der politischen Instrumentalisierung: durch den Führungsanspruch der Komintern und Stalins, in dem ein gleichberechtigtes China keinen Platz hatte, und später durch die Machtkämpfe innerhalb des »sozialistischen Lagers«. Bei der Kulturrevolution in China in den sechziger Jahren ergänzten sich Verklärung und Verachtung auf der deutschen Seite wieder spiegelbildlich: Teile der westdeutschen Linken sahen im Kurs Mao Zedongs eine Erlösung, feierten sich als Maoisten, die DDR hingegen folgte der Sowjetunion nicht nur in der Verurteilung der Kulturrevolution, sondern auch in der neuen Feindbild-China-Ideologie. Mit der komplexen und widerspruchsvollen chinesischen Wirklichkeit hatte beides nichts zu tun.

China ist das bevölkerungsreichste Land der Erde. Es befindet sich in einem wirtschaftlichen und politischen Aufschwung, der in der Geschichte nicht seines gleichen hat. Die Wiederbelebung alter und die Schaffung neuer Feindbilder ist so gefährlich wie anachronistisch.