in: Unsere Zeit, Paris-Basel-Prag, VIII. Jg., Heft 6-7, Juli 1935, S. 10-14Der britische Imperialismus ist mit seinen Positionen im kolonialen Asien ziemlich zufrieden. Der Süden und Südosten gehört ihm fast vollständig, während in Süd- und Mittelchina die englischen Interessen den ersten Platz einnehmen. Gegen Erweiterungen seiner Positionen auf Kosten Chinas und der Sowjetunion hat er natürlich nichts einzuwenden:

Asiaticus 1935: Der englische Imperialismus und die japanischen Angriffspläne im Fernen Osten

in: Unsere Zeit, Paris-Basel-Prag, VIII. Jg., Heft 6-7, Juli 1935, S. 10-14

Shanghai, Juni 1935

Der britische Imperialismus ist mit seinen Positionen im kolonialen Asien ziemlich zufrieden. Der Süden und Südosten gehört ihm fast vollständig, während in Süd- und Mittelchina die englischen Interessen den ersten Platz einnehmen. Gegen Erweiterungen seiner Positionen auf Kosten Chinas und der Sowjetunion hat er natürlich nichts einzuwenden: nachdem er Tibet verschluckt hat, bereitet er sich auch vor, seine Hand auf Szechuan und Sinkiang, das letztere als strategischen Ausgangspunkt nach Sowjet-Zentralasien, zu legen. Aber als vordringliches Problem steht vor dem britischen Imperialismus die Aufgabe, Japan den Weg nach dem Süden Asiens versperrt zu halten und die britische Hegemonie in Süd- und Mittelchina zu behaupten, ohne dabei allzusehr auf die Hilfe des USA-Imperialismus angewiesen zu sein. Diese Aufgabe ist keineswegs leicht, da das Schwergewicht des japanischen Imperialismus auch in Mittel- und Südchina immer fühlbarer wird und die britisch-amerikanische Kooperation in dieser Zone immer gebieterischer macht, ferner da die Erfolge der chinesischen Sowjetrevolution die Einheitsfront der »Interessenmächte« zu einer Lebensfrage des Imperialismus in China machen. Der britische Imperialismus möchte diese Aufgabe lösen, keine wesentlichen Positionen weder an Japan noch an die USA abgeben, ja sogar noch weitere Positionen dazugewinnen – und das sogar gemeinsam mit Japan!

 

England schon 1918 für »Entschädigung« Japans in Ostsibirien

Wie dieses »Wunder« vollbracht werden soll, dafür eine zeitgemässe historische Reminiszenz: Im Frühjahr 1918 hatten die Ententemächte England, Japan, Frankreich und die USA einen Teil Sibiriens besetzt, dort die weissen Banden ausgerüstet und ihr bestialisches Mordregiment gegen die Arbeiter und Bauern ermöglicht, bis sie mitsamt ihren Beschützern von der siegreichen unaufhaltsamen revolutionären Flut hinweggespült wurden. Der Kommandeur der USA-Expedition nach Sibirien, Generalmajor Graves, hat in seinem Buch »America‘s Siberian Adventure 1918-1920« dokumentarisch nachgewiesen, dass England sich selbst nur mit der Aufgabe der Etablierung des Koltschakregimes bescheiden wollte und auf eigene Eroberungen in Sibirien »verzichtete«, schon damals aber Japan möglichst weit nach Sibirien hineinziehen wollte und ihm seine Hilfe bei der Besetzung Ostsibiriens versprochen hatte. Nach japanischen offiziellen Angaben hat Japan für das damalige sibirische Abenteuer 900 Millionen Jen ausgegeben. Im erwähnten Buch ist darüber wörtlich zu lesen: » … es ist bekannt, dass England noch im März 1918 Japan ersucht hat, die transsibirische Bahn zu besetzen … Im März haben die Engländer vorgeschlagen, dass Japan seine Truppen bis nach dem Uralgebirge hineinschickt und Großbritannien sprach seine Bereitschaft dafür aus, dass Japan für diesen Feldzug auf Kosten Russlands entschädigt werden solle … In diesem Zusammenhange wurden von den militärischen Vertretern des Obersten Kriegsrats folgende Anregungen gemacht: ›Falls Japan eine bestimmte Entschädigung verlangen sollte, so wird es notwendig sein, Japan für seine Bemühungen die Besetzung eines kleinen Teils von Ostsibirien zuzubilligen. Es ist wahrscheinlich, dass Japan in jedem Falle einen Teil von Sibirien nehmen wird, doch kann das verhüten, dass es anderswo nach Expansion ausschaut‹.«

Das ist das britische Wunderrezept heute wie damals. Die ganze britische Politik gegenüber dem Raub von vier chinesischen Provinzen in der Mandschurei und Mongolei, die Zustimmung zum japanischen Vormarsch in der Inneren Mongolei, zum Ausbau der strategischen Angriffsbasis auf die Aeussere Mongolei – all das ist vom Leitgedanken bestimmt, Japan zum Angriff auf Ostsibirien zu ermutigen, alle internationalen Hindernisse aus dem Wege zu räumen, selbst die japanische Vorherrschaft in Nordchina in Kauf zu nehmen und ihm für den Notfall auch die direkte britische Unterstützung zuzusichern, um es in einen Krieg gegen die Sowjetunion hineinzuhetzen!

Der japanische Imperialismus denkt natürlich nicht daran, sich durch seine Eroberungen in der Mandschurei, Inneren Mongolei und Nordchina vom Eindringen in die Gehege des britischen Imperialismus in Mittel- und Südchina abhalten zu lassen. Ganz im Gegenteil, in Nanking, in Shanghai und entlang der ganzen Südküste nimmt er alle Gelegenheiten wahr, um seine Positionen auszubauen. Ausserdem ist die unentwegte Friedenspolitik der Sowjetunion, gepaart mit der grossen militärischen Macht zum Schutz ihrer Grenzen im Fernen Osten, ein mächtiges Hindernis für alle Kriegsintrigen des japanischen und britischen Imperialismus. Die britische Politik gibt aber trotzdem ihre Hoffnung auf die Verwirklichung des Wunderrezepts im Nordosten Asiens nicht auf. Im Gegenteil, je mehr der japanische Imperialismus nach dem Süden drängt, desto stärker klammert sich England an seinen Ablenkungsplan durch einen Krieg gegen die Sowjetunion. Während er in Europa drauf und dran ist, die Sowjetunion zu schwächen und ihre Feinde zu stärken, unterordnet er auch seine Chinapolitik diesem Ziel. Er ist zwar gezwungen, die USA gegen Japan auszuspielen, um es in Mittel- und Südchina aufzuhalten, gleichzeitig hilft er aber Japan seine nördlichen Positionen zu festigen und auszubauen, hindert jedes stärkere Eingreifen der USA in dieser Richtung und wird nicht müde, mit dem ganzen Schwergewicht seines Einflusses im Fernen Osten Japan den Rücken für seine Kriegsvorbereitungen gegen die Sowjetunion zu decken, es in dieser Richtung zu ermutigen und zu drängen. So schwankend die britische Politik in China infolge der Widersprüche dieser Lage, insbesondere infolge der wachsenden Bedrohung britischer Interessen im Süden Asiens und in China durch Japan ist, so fest und unverrückbar ist die Stellung Englands in allen Fragen, die die Beziehungen zwischen Japan und der Sowjetunion verschärfen und die japanischen Kriegsvorbereitungen gegen sie unterstützen und beschleunigen können.

 

Englisches Kapital in Mandschukuo

Ein Schulbeispiel dafür ist die britische Position gegenüber »Mandschukuo«. Formell sieht England den Beschluss des Völkerbunds von der Nichtanerkennung »Mandschukuos« de jure auch noch für sich als bindend an, seine faktische Stellung basiert aber darauf, dass die Mandschurei und Innere Mongolei »zu Recht« japanischer Kolonialbesitz sind und insbesondere die »Mission« dieser japanischen Sprungbasis nach der äusseren Mongolei und Ostsibirien die britische .Unterstützung in jeder Beziehung verdient. Diese Politik ist dokumentarisch. im offiziellen Bericht der Delegation der Federation of British Industries, der Anfangs dieses Jahres herausgegeben wurde.

In diesem Bericht heisst es über »Mandschukuo«: »Hier wird ein moderner Staat geschaffen … Die Einwohner von Mandschukuo erfreuen sich der Verhältnisse wachsender Sicherheit und geordneter Regierung … Eines der schwierigsten Probleme das die Behörden von Mandschukuo nach dem Zwischenfall von 1931 (!) zu meistern hatten, war die Gesetzlosigkeit, verursacht durch die Banditenhorden, die das Land verseuchten. Schätzungsweise betrugen sie noch vor zwei Jahren mindesten 350 000. Sie setzten sich zusammen grösstenteils aus entlassenen Soldaten und in bedeutendem Masse auch aus Bauern, die durch ökonomisches Missgeschick zum Banditentum getrieben wurden. Die japanischen Truppen haben dieses Problem in höchst tüchtiger Weise angepackt … es ist schwer, sie vollständig auszurotten, da der Bandit von heute der Bauer von morgen ist und umgekehrt … Wir glauben, dass es nur richtig ist, das volle Verdienst der japanischen Truppen für das, was sie bereits erreicht haben, anzuerkennen.«

Nach dieser »unpolitischen« Einleitung teilt der Bericht mit: »Lord Barnby (der Führer der Delegation), hat in einer Sitzung mit den Behörden in Mandschukuo, die Mitarbeit der britischen Industrie an dem Aufbau dieses Staates angeboten … er erhielt die schriftliche Zusicherung, dass das Prinzip der Zusammenarbeit mit England am Aufbau von Mandschukuo endgültig akzeptiert worden ist.«

Diese »Zusammenarbeit« wird dann dahingehend konkretisiert, dass sie in der Hauptsache in geschäftlicher Verbindung mit der Südmandschurischen Eisenbahngesellschaft erfolgen wird, die »eng verbunden ist mit der japanischen Regierung, welche über 50 Prozent ihrer Aktien besitzt und die ausländischen Anleihen dieser Bahn, die in London gegeben wurden, garantiert.« Mit Befriedigung vermerkt der Bericht, wie rasch diese Gesellschaft ihr Bauprogramm von Bahnen und Heerstrassen durchführt.

Schliesslich wird mitgeteilt, dass gemeinsame Komitees der Japan Economic Federation und der Federation of British Industries in Tokio und in London gegründet werden, dass für 1935 ein Abkommen bezüglich der Lieferung von Stahlprodukten abgeschlossen wurde und dass sie sicher seien, »Angebote für bedeutende Geschäfte für die britische Industrie zu erhalten«. Doch dürften die britischen Industriellen keine Zeit verlieren, da »die Skodawerke in allen wichtigen Städten Zweigstellen besitzt und die deutschen Firmen – Krupp, AEG, Demag und Schliemann – alle gut vertreten sind.«

 

Die britische Hetzkampagne gegen Sinkiang

Wenn auch das konkrete geschäftliche Ergebnis der Delegation für die britische Industrie vorläufig recht mager ist, so ist doch ihre Bedeutung für die Zukunft nicht zu unterschätzen. Die britischen Geschäftemacher sind sich der Vorzugstellung Englands durch seine Kolonien in Asien und seine Positionen in Shanghai und Hongkong für die Belieferung Japans im Falle eines Krieges mit der Sowjetunion durchaus bewusst. Die politische Bedeutung dieser Delegation bestand gerade darin, Japan die volle Unterstützung des britischen Imperialismus für den »Aufbau« von »Mandschukuo« als einer Angriffsbasis gegen die Sowjetunion und nur zu diesem Zweck zuzusichern. Gerade jetzt ist die britische imperialistische Presse im Fernen Osten mit einer Kampagne beschäftigt, China vor der weiteren Aufteilung, die ihr seitens der – Sowjetunion droht, zu warnen! Die »North China Daily News«, das führende britische Organ in Shanghai, brachte kürzlich einen Bericht ihres Korrespondenten aus Peiping, der unter der Ueberschrift »Ein neuer chinesischer Verlust« wie folgt eingeleitet wird: »Nach sehr zuverlässigen Quellen scheint es, dass China im letzten Jahr ein weiteres grosses Stück seines Territoriums verloren hat. Es scheint ausser jedem Zweifel zu sein, dass das weite Gebiet Chinesisch-Turkestans (Sinkiang) vollständig unter die Kontrolle Sowjetrusslands geraten ist.«

Die britische Zeitschrift »Oriental Affairs«, Shanghai, schreibt im Leitartikel ihrer Aprilnummer: »Die Entfremdung der Mandschurei … hat ein weltweites Echo ausgelöst und ernsthaft die chinesische Innenpolitik in den letzten Jahren beeinflusst. Aber nun wird ein sogar noch größeres Gebiet praktisch von China. abgetrennt – die Provinz Sinkiang (Chinesisch-Turkestan) – und selten wird darauf in der chinesischen Presse verwiesen und noch seltener findet dies irgendwelche Aufmerksamkeit im Auslande … Die chinesische Regierung … wird gut tun, die nötigen Schritte zu ergreifen, um, solange es noch Zeit ist zu verhindern, dass aus Sinkiang eine zweite Aeussere Mongolei wird.«

Im selben Sinne ruft der südchinesische Kuomintangführer Hu Han-min von seinem Sitz in Hongkong auf, China zum Kampf gegen den »Sowjetimperialismus, der nicht weniger gefährlich ist als der japanische«, zu einigen.

Dieser britischen Hetzkampagne liegen folgende Tatsachen zugrunde. Sinkiang ist die Grenzprovinz zwischen Westchina und Sowjet-Zentralasien. Sie grenzt im Norden an die Mongolische Volksrepublik, im Westen an die UdSSR, im Süden an Britisch-Indien und Tibet-Kokonor. Die Bevölkerung, hauptsächlich Turkmenen, zählt schätzungsweise 3 bis 4 Millionen. Die einstige Bedeutung als Durchgangsprovinz für den Handel des altchinesischen Reiches mit Zentralasien und Europa hat sie schon längst, und zwar seit Oeffnung der Osthäfen, verloren. Gegenwärtig führt Sinkiang nur seine eigenen Produkte, hauptsächlich nach Zentralasien und teilweise nach Indien aus. Der Handel mit China ist sehr minimal, weil der einzige Weg, der Karawanenweg nach Nordchina, sehr unsicher ist und mehrere Monate beansprucht. Das »Verbrechen« der Sowjetunion besteht nun darin, dass sie die turkestanisch-sibirische Bahn (Turksib) schuf, von deren Endpunkt die Grenze von Sinkiang nach dreitägiger Fahrt (!) erreichbar ist, ferner, dass Sowjet-Zentralasien mit der Durchführung der Fünfjahrespläne wie jeder andere Teil der Union aufblüht, was sich auch auf das chinesische Grenzgebiet auswirkt. Unter dem Einfluss dieser Entwicklung wächst naturgemäss der Handel Sinkiangs mit der Sowjetunion, der aber trotzdem nur den Charakter des üblichen Grenzhandels trägt. Die britische Journaille bezeichnet das als »neuen chinesischen Verlust«, der »noch grösser als der Verlust der Mandschurei« sei, weil sowohl der britische als auch japanische Imperialismus für Sinkiang eine andere Aufgabe vorgesehen haben und zwar die einer Angriffsbasis gegen die zentralasiatische Flanke der Sowjetunion! Der Zweck dieser Kampagne ist die Vorbereitung einer britischen oder japanischen Intervention in Sinkiang, um dort eine Provinzmacht zu errichten, die offen sowjetfeindlich ist, die Grenzen für den Handel mit der Sowjetunion sperrt und aus Sinkiang ein zweites »Mandschukuo« zum Angriff auf die Sowjetunion macht.

Die konsequente Friedenspolitik der Sowjetunion, die keinen Zoll fremden Boden wünscht, aber auch keinen Zoll eigenen Bodens abgeben wird, die sich durch keinerlei Provokationen und Intrigen von diesem Weg abbringen lässt, die die Politik einer revolutionären Grossmacht gegenüber der imperialistischen Kriegsmeute ist – diese Politik wird auch von den nationalrevolutionären und werktätigen Massen der Kolonien und Halbkolonien immer mehr verstanden. Deshalb gerade ist sie auch ein mächtiger Faktor im Kampfe der unterdrückten Kolonialvölker. Und deshalb werden auch im Entscheidungsfalle, wenn der britische Imperialismus seine Intrigen gegen die Sowjetunion mit einem imperialistischen Kriegsblock gegen die einzige Friedensmacht der Welt krönen wird, auch die werktätigen Massen der Kolonialvölker aktiv auf Seiten der Sowjetunion sein – für ihre eigene soziale und nationale Befreiung und für den Sturz des Imperialismus!