in: Die Neue Weltbühne, Prag-Zürich-Paris, Nr. 38 vom 16. September 1937, S. 1192-1195Die Kämpfe um Shanghai bewiesen, dass China eine moderne, zentral geleitete Armee besitzt, deren Strategen dem Stab des Feindes überlegen sind. Vor Beginn des japanischen Angriffs war es fraglich, ob der Krieg auf den rückständigen Norden mit seinen halb autonomen Provinzarmeen beschränkt werden könne, oder ob das untere Jangtsetal, das am meisten industrialisierte und modern verwaltete Gebiet, Kriegsschauplatz würde.

Asiaticus 1937: England in Shanghai

in: Die Neue Weltbühne, Prag-Zürich-Paris, Nr. 38 vom 16. September 1937, S. 1192-1195

Die Kämpfe um Shanghai bewiesen, dass China eine moderne, zentral geleitete Armee besitzt, deren Strategen dem Stab des Feindes überlegen sind. Vor Beginn des japanischen Angriffs war es fraglich, ob der Krieg auf den rückständigen Norden mit seinen halb autonomen Provinzarmeen beschränkt werden könne, oder ob das untere Jangtsetal, das am meisten industrialisierte und modern verwaltete Gebiet, Kriegsschauplatz würde. Im Norden kann sich Japan auf Mandschukuo stützen, während die zentralchinesischen Truppen dorthin durch Gebiete primitiven Verkehrs eilen und sich weit von ihrer Basis entfernen müssen. Im unteren Jangtsetal sind dagegen Chinas bestgeschulte, modernste Divisionen zu Haus; dort ist der zentrale Stab, es gibt gute Kommunikationswege, und man hat eine gewa1tige gute Reserve in den industriellen Volksmassen, die schon 1932, damals ohne Unterstützung der Nankingregierung einen mächtigen Schutzwall um die kämpfenden chinesischen Truppen der 19. Armee bildeten. Die jetzt im Kampfgebiet von Shanghai. eingesetzten 150.000 Mann, denen eine unmittelbare Reserve von etwa 200.000 Mann zur Verfügung steht können nur mit der Roten Armee Nordwestchinas verglichen werden; doch sind die zentralen Truppen noch weit besser mit Artillerie und Luftstreitkräften ausgerüstet. Japans Nachschub ist in dieser Zone auf den Seeweg und die Jangtsemündung angewiesen; er wird durch die mächtige Seeflotte und die Überlegenheit der Luftstreitkräfte gesichert, ist aber auch durch die tiefgegliederte Verteidigungsfront der Chinesen entlang dem Jangtse und dem Whangpu bedroht. Der chinesische Generalstab in Nanking, der jetzt Militärexperten aus Südchina sowie Vertreter der chinesischen Roten Armee einschliesst, hat den
blind provozierenden japanischen Generälen und Admiralen ihr weiteres Handeln vorgeschrieben und sie gezwungen, sich im Gebiet von Shanghai zu stellen Dort ist jetzt der wichtigste Kriegsschauplatz.

Wo die Kriegsoperationen stattfinden würden, war von eminenter internationaler Bedeutung. Unmittelbares Objekt des japanischen Angriffs war Nordchina, und zwar in erster Linie die nordwestliche Zone entlang der Peiping-Suiyuan-Bahn, über Shansi den Angriff auf die chinesische Rote Armee zu führen. Vor dem Überfall wurden in London japanisch-englische Verhandlungen zur Respektierung der gegenwärtigen Positionen beider Länder (der japanischen in Nordchina und der englischen im Jangtsetal und Südchina) angebahnt. Der japanische Generalstab schickte die Diplomaten vor, um durch Versprechungen an England die Gefahr der internationalen lntervention zu bannen, dachte aber nicht einen Augenblick daran; sich an diese Versprechungen zu halten. Schon die englische Bereitschaft zu solchen Verhandlungen zeigte den Japanern, dass der spanische Konflikt und das Zusammenspiel der  faschistischen Verbündeten England mürbe gemacht hat, die Gefahr einer englisch-amerikanischen Einmischung in Nordchina drohte nicht.

Japan konnte also den -Druck auf die Jangtsemündung und Shanghai verstärken, um die Nankingregierung zu zwingen, Nordchina seinem Schicksal zu überlassen. Gerade dadurch wollte Japan einen langwierigen Krieg verhindern, der nach und nach auf die wichtigsten japanischen Stützpunkte in allen Teilen Chinas übergreifen und den chinesischen Markt längere Zeit sperren musste. Es konzentrierte den Angriff auf Nordchina, machte in Verständigung mit England und evakuierte die Japaner aus allen chinesischen Häfen südlich von Shanghai; Shanghai selbst wollte es mit Hilfe des englischen Interesses an seiner »Neutralität« der chinesischen Regierung ohne Krieg entreissen, diese Stadt sollte als »neutrale Zone« von der chinesischen Armee abgeriegelt oder »neutralisiert« werden. Dadurch. hätte die chinesische Regierung sogleich bei Kriegsbeginn ihre faktische Metropole verloren, auch der Weg nach Nanking war offen gewesen. Wollte China nicht kapitulieren, so hätte seine Regierung dann auch Nanking verlassen müssen. England hatte, sich für diese Sorte »Neutralisierung« in Shanghai und Nanking eingesetzt und sich gleichzeitig auf die japanischen Versprechungen verlassen, dass kein Angriff auf Shanghai beabsichtigt sei; aber die chinesische Regierung hat diesen Plan durch gründliche Vorbereitung des Abwehrkrieges um Shanghai sowie durch Zurückweisung aller englischen Intrigen und japanischen Kriegsmanöver durchkreuzt. Sie hielt den englischen Vertretern mit Recht entgegen, dass Japan nur das von chinesischen Truppen »demilitarisierte« und von englischer Seite völlig ungeschützte Shanghai durch einen überraschenden Flotten- und Luftangriff überrumpeln und besetzen wolle, um so auch einen vernichtenden Schlag gegen die englischen und amerikanischen Interessen in Shanghai zu führen.

Der japanische Generalstab rechnete fest damit, dass die Nankingregierung wie früher dem englischen Druck und den japanischen Drohungen nachgeben werde. Noch wurde über die »Neutralisierung« verhandelt, als plötzlich ein japanisches Geschwader von 25 Kriegsschiffen im Hafen von Shanghai erschien, das Flaggschiff des Admirals wurde in nächster Nachbarschaft des englischen Generalkonsulats postiert. Eng1and hatte weder Kriegsschiffe noch Truppenverstärkungen nach Shanghai beordert. Die japanische Kriegsmacht bezog im Herzen von Shanghai die Stellung des Garanten der »Neutralität«, es schob die englischen Vertreter brüsk beiseite und stellte ihnen die Aufgabe, die chinesischen Truppen zur kampflosen Räumung von Shanghai zu bewegen. Diese Mission konnten aber die Engländer nicht auf sich nehmen, sie war völlig aussichtslos, weil chinesischerseits die Herausforderung angenommen wurde. Nun blieb auch dem japanischen Generalstab nichts übrig, als seine Pläne der Eroberung nicht nur Nordchinas sondern auch Shanghais und der Jangtsemündung zu enthüllen und alle diplomatischen Winkelzüge, die ihm wegen der Gefahr der auswärtigen Intervention notwendig schienen, fallen zu lassen. Shanghai als Kriegsschauplatz zeigt mörderisch-eindeutig, dass es nicht allein um Nordchina sondern um die Niederzwingung Chinas als Ganzem geht. Die Monopolisierung des chinesischen Marktes wäre die Basis, auf der Japan seine Herrschaft über Ostasien und den Pazifischen Ozean errichten möchte.

Japan greift gleichzeitig alle chinesischen Stadtteile Shanghais an, ein Teil des internationalen Settlements dient zugleich als Landungsstelle, Aufmarschgebiet und Angriffsbasis. Die chinesischen Stadtteile Chapei, Kiangwan, Putung und Nantao grenzen an das Settlement und die Französische Konzession, zum Teil sind sie durch den Fluss Whangpu voneinander getrennt. Settlement und Konzession (mit zusammen eindreiviertel Millionen Einwohnern, dazu jetzt eine Million Kriegsflüchtlinge) verhalten sich zum chinesisch verwalteten Teil Shanghais (mit zwei Millionen Einwohnern) wie eine innere Stadt zu den umliegenden Vorstädten. Der Whangpu, der vom Jangtse abzweigt, dient den Japanern als Einfahrt für Kriegsschiffe und Landungstruppen; von hier aus feuern sie auf die chinesischen Stadtteile, nachdem sie bereits die nördliche Seite des Settlements zum militärischen Stützpunkt ausbauen konnten, ohne von der englischen Verwaltungsmajorität daran gehindert zu werden. Dadurch ist die eigenartige Lage entstanden, dass die chinesischen Stadtteile weniger von aussen als von der inneren Stadt aus angegriffen werden. Bedenkt man noch, dass kein chinesischer Soldat das Gebiet des Settlements betreten darf, so entsteht ein Bild dessen, was von der angeblichen Neutralität des Settlements übriggeblieben ist. Der japanische Admiral hat von der Verwaltung der Französischen Konzession gefordert, den japanischen Truppen dieselben »Rechte« zu erteilen, die sie bereits im Settlement geniessen. Die f ranzösische Verwaltung hat dieses Ansinnen zurückgewiesen, worauf die Japaner drohten, den Durchmarsch für ihre Truppen zu erzwingen. Faktisch sind der südliche Teil des Settlements und die Französische Konzession nur deshalb noch nicht von der japanischen Invasion direkt betroffen, weil der starke chinesische Widerstand es den Japanern nicht ratsam erscheinen lässt; gleichzeitig auch einen internationalen Konflikt heraufzubeschwören.

Der Kampf um Shanghai ist schon jetzt ein erbitterter Stellungskrieg, der sich noch auf die chinesisch verwalteten Stadtteile beschränkt, aber sehr leicht auf die ausländischen Teile übergreifen kann. Es wird Strasse um Strasse gekämpft, unter ständigem Feuer der Schiffsgeschütze und mit Luftangriffen, die auch die Grenzen des Settlements und der Französischen Konzession überschreiten. Die chinesischen Soldaten und Volksmassen werden Shanghai nicht aufgeben – ohne Rücksicht darauf, ob die ausländischen Konzessionen von englischen, amerikanischen und französischen Garnisonen verteidigt werden, oder ob man weiter vor der japanischen Invasion zurückweicht. Im letzteren Falle wird die chinesische Verteidigung nach und nach auch die ausländischen Stadtteile in ihr Kampfgebiet einbeziehen müssen.