in: Pariser Tageszeitung (Quotidien de Paris), 6. November 1937Am 6. November 1937 druckt die Exilzeitung des deutschen antifaschistischen Widerstandes in Frankreich "Pariser Tageszeitung (Quotidien de Paris)" einen Beitrag von Asiaticus, der das Datum "Schanghai, 12. Oktober" trägt. Asiaticus erweist sich darin als weitblickender Analytiker weltweiter Zusammenhänge. Im November 1937 trat Italien dem Antikominternpakt bei, mit dem sich am 25. November 1936 Deutschland und Japan verbündet hatten. Asiaticus zeigt, wie die Achse Berlin-Tokio-Rom zu handeln begann.

Asiaticus 1937: Fascistisches Komplott um Schanghai

Aus: Deutsches Zeitungsportal in der Deutschen Digitalen Bibliothek, Datengeber Deutsches Exilarchiv

Fascistisches Komplott um Schanghai

Von Asiaticus

In: Pariser Tageszeitung (Quotidien de Paris), 2. Jg., Nr. 511, v. 6. November 1937

(Sonderbericht der „Pariser Tageszeitung“)

Schanghai, 12. Oktober.

Die europäischen Verbündeten Japans haben nicht nur die Aufgabe, durch Krieg gegen die spanische Republik sowie durch erpresserische Intrigen und Aktionen im Mittelmeer und Zentraleuropa zu verhindern, dass eine Intervention der Friedensmächte den japanischen Angriff auf China aufhalte. Die Zusammenarbeit zwischen Tokio, Rom und Berlin ist jetzt bereits auf das Ziel ausgerichtet, vom fernen Osten aus die ostasiatische Flanke des britischen Imperiums zu einer ständigen Gefahrenzone ähnlich wie das westliche Mittelmeer zu machen. Die japanische See- und Luftflotte, die jetzt die ganze chinesische Küste einschließlich der Zone von Hongkong blockiert, soll zu diesem Zweck auf der chinesischen Insel Hainan, die in den Grenzgewässern von Französisch-Indochina sowie zwischen Hongkong und den Philippinen liegt, einen neuen Stützpunkt beziehen. Dadurch würde sich der Kreuzerradius der japanischen Flotte bis zur Nachbarschaft von Singapore und ebenso von Holländisch-Indien erstrecken. Am meisten bedroht würde der französische Kolonialbesitz an der Südgrenze Chinas, während Hongkong bereits jetzt innerhalb der japanischen Blockadezone eingeschlossen ist.

Englands ostasiatische Flanke

In Tokio glaubt man, stark genug zu sein, um mit der japanischen Flotte die ostasiatische Flanke Englands in dieser Weise ständig beunruhigen zu können, – vorausgesetzt, dass Italien und Deutschland dafür sorgen, dass sowohl England als auch Frankreich im Mittelmeer und überhaupt in Europa vollauf beschäftigt werden. Dadurch sollen England jegliche Gelüste, im Fernen Osten zum Schutz der englischen Interessen zu intervenieren, ausgetrieben werden. Die japanische Flotte in der Nachbarschaft von Singapore, mit Aufgaben der Blockade und Sicherung neuer Stützpunkte, bedeutet, dass England größere Aufmerksamkeit der Aufgabe der Verteidigung seines Kolonialbesitzes in Ostasien zuwenden muss. So soll es gleichzeitig in Ostasien und im Mittelmeer wie auch in Zentraleuropa in die Zange genommen werden. Es soll im Fernen Osten nicht intervenieren können, gleichzeitig aber soll es gezwungen sein, seine Flotte Im südlichen Teil des Pazifik zu verstärken und dadurch Italien im Mittelmeer zu entlasten, – das ist die konkrete Aufgabe für die gegenwärtige Phase der Zusammenarbeit zwischen Tokio, Rom und Berlin. Die Schlüsselstellung zur Erfüllung dieser Aufgaben haben die japanische Flotte in Ostasien und die italienische im Mittelmeer. Deshalb kann sich auch Deutschland vorläufig in der ostasiatischen Frage noch im Hintergrund halten, während die japanisch-italienische Zusammenarbeit in ihrer direkten Frontstellung gegen England immer offener zutage tritt.

„Demilitarisierung“

Im Rahmen dieser Aufgabe liegt auch eine direkte Zusammenarbeit zwischen Japan und seinen Verbündeten in Schanghai. Die unmittelbaren Ziele des japanischen Angriffs auf Schanghai sind noch nicht, wie im Falle Nordchinas, sofortige Besitzergreifung, sondern Beherrschung der Jangtsemündung und des Hafens. Japan kann selbst nicht hoffen, schon beim gegenwärtigen Feldzug auch die englisch-amerikanische Verwaltung des Internationalen Settlements und die Französische Konzession zu beseitigen. Das nächste Ziel des japanischen Angriffs ist aber, auf jeden Fall Schanghai der chinesischen Regierung zu entreißen. Schanghai soll „demilitarisiert“ werden und unter japanischer Oberherrschaft zum „neutralen“, teilweise sogar „internationalisierten“ Hafen erklärt werden. Bei diesem Werk sollen auch die neutralen Mächte – Italien sowie Deutschland zählen sich hier zu den „Neutralen“ – helfen! Die chinesische Regierung soll gezwungen werden, ihre Truppen aus dem Gebiet um die Jangtsemündung sowie aus Schanghai und Umgebung zurückzuziehen und sich verpflichten, ihren wichtigsten Hafen und ihren größten Handels- und Industriebezirk ohne militärischen Schutz zu lassen. Den Japanern soll ein besonderer Stadtteil aus Teilen des Settlements und des chinesischen Verwaltungsgebiets zur eigenen Verwaltung übergeben werden. Die Polizei Im chinesischen Verwaltungsgebiet soll unter Kontrolle japanischer „Ratgeber“ gestellt werden. Das Internationale Settlement, bereits verkleinert um den Teil, den die Japaner jetzt als Operationsbasis nutzen, soll anstelle der jetzigen englisch-amerikanischen eine „internationale“ Verwaltung, unter Einbeziehung der Italiener und der Deutschen, erhalten. Der Garant dieses „demilitarisierten“ Status von Schanghai soll aber in erster Linie die japanische Seeflotte sein, unterstützt durch die neuen Befestigungen in der Jangtsemündung, durch die Fluggeschwader und die Garnison im japanischen Stadtteil.

Die militärischen Operationen

Aber so weit ist es noch lange nicht, vor allem dank der heroischen Verteidigung Shanghais durch die chinesische Nationalarmee. Selbst wenn es den Japanern gelingen sollte, sich zeitweilig der chinesischen Stadtteile Schanghais zu bemächtigen, so ist klar, dass damit der Krieg um die Beherrschung Schanghais außerhalb der inneren Hafenzone mit derselben Erbitterung und noch größerer Zähigkeit und Entschlossenheit seitens der chinesischen Verteidigung weitergehen wird. Nur im engeren Bereich des Hafens in der Reichweite der Kriegsschiffe können die Japaner vorübergehend ihr Ziel verwirklichen. Bei dieser Lage ist es für die japanischen Kriegspläne äußerst wichtig, das Settlement als Angriffsbasis zu benutzen, und sicherzustellen, dass die englisch-amerikanische Verwaltung des Settlements durch ihre Kriegsschiffe und Garnisonen die Entfaltung des japanischen Angriffs nicht behindert und sich nur auf die Wahrung der Neutralität des Settlements gegenüber der chinesischen Seite beschränkt. Für diesen Zweck können sich die Verbündeten Japans auch in Shanghai selbst sehr nützlich betätigen.

Den Anfang damit haben bereits die Italiener gemacht! Noch am Vorabend des Angriffs auf Schanghai machten die Italiener den Vermittlungsvorschlag, dass sich die chinesischen Truppen aus Schanghai und Umgebung zurückziehen und dass die Besatzungen der „neutralen Mächte“ zusammen mit der chinesischen Polizei für Ruhe und Ordnung in den chinesischen Stadtteilen einstehen. Als Konzession dafür sollten auch die Japaner ihre neu angekommenen Flottengeschwader (nicht die ständige Landungsgarnison mit ihren Kriegsschiffen) aus dem Inneren Hafen wieder zurückziehen. In der Sitzung der auswärtigen Vertreter, wo dieser Vorschlag offiziell eingebracht wurde, erklärten sich die Japaner natürlich bereit, dem italienischen Vorschlag zuzustimmen. Aber außer den Italienern selbst fand sich keine „neutrale Macht“, die ihrer Besatzung die Erfüllung einer solchen „Polizeiaufgabe“ auftragen wollte.  Dieser Vorschlag (übrigens von den Chinesen sofort zurückgewiesen) war kaum ernst gemeint. Er sollte nur demonstrieren, dass die Japaner unter den Ausländern in Schanghai, die vertragsmäßig Exterritorialität genießen und daher zu jenen gehören, denen der Schutz des Settlements obliegt, nicht isoliert dastehen

Italienische Verstärkungen

Gleich nach Ausbruch der Kämpfe in Shanghai sandte Italien einen Truppentransport von 1100 Mann direkt aus Abessinien, wodurch jetzt genau drei italienische Soldaten auf einen italienischen Residenten in Schanghaier Settlement kommen. Das war die italienische Antwort auf die Ankündigung der Verstärkung der hiesigen englischen, französischen und amerikanischen Garnisonen. Die italienischen Truppen haben gleich nach ihrer Ankunft Positionen zum „Schutz“ des Settlements, neben den englischen und amerikanischen, bezogen.

Japan kann von seinen Verbündeten keine direkte militärische Hilfe In Schanghai erwarten, aber ihr Beistand zur Zerstörung und Desorganisierung der ausländischen Abwehrversuche gegen japanisches Vordringen im Settlement und eine direkte Bedrohung der anschließenden französischen Konzession ist für die japanischen Kriegspläne um Schanghai von großer Bedeutung.