in: Die neue Weltbühne, Prag-Zürich-Paris, Nr. 1/1937 v. 1. Januar 1937, S. 5-9Das deutsch-japanische Bündnis hat hier wie eine Bombe gewirkt. Trotz der Weltkrise und der besonderen Not, in die China durch die japanische Invasion geraten ist, stieg Deutschlands Einfuhr nach China von Jahr zu Jahr.

Asiaticus 1937: Handels-Harakiri

in: Die neue Weltbühne, Prag-Zürich-Paris, Nr. 1/1937 vom 1. Januar 1937, S. 5-9

Shanghai, im Dezember

Das deutsch-japanische Bündnis hat hier wie eine Bombe gewirkt. Trotz der Weltkrise und der besonderen Not, in die China durch die japanische Invasion geraten ist, stieg Deutschlands Einfuhr nach China von Jahr zu Jahr.

Deutsche Einfuhr nach China (in Prozenten der Welteinfuhr):

1930    1931    1932    1933    1934    1935    1936 (9 Monate)

5,2       5,8       6,8       8          9          11        16,7

Deutschland hat erst England und dann (wenigstens in den amtlichen Zahlen) auch Japan erreicht und überholt und konkurriert jetzt mit den USA um den ersten Platz in Chinas Außenhandel. Die chinesische Seezollstatistik gibt freilich den japanischen Anteil falsch an, da Japan aus der Mandschurei einen ungeheuren Schmuggel nach Nordchina organisiert hat und ein Eingreifen der Zollkontrolle mit militärischer Gewalt verhindert. Aber diese Statistik, mag sie sonst auch unzuverlässig sein, zeigt doch eindeutig das rasche Wachsen des deutschen Handels in jenen Gebieten, die der Nanking-Regierung unterstehen – also jener Regierung, die sich im schwersten Kampf gegen Japan befindet. Gegen den japanischen Imperialismus kann sich China nur durch äußerste Kraftentfaltung der ganzen Nation wehren. Muss es deshalb auch jede andere Bedrohung hinnehmen? Gewiss nicht. Seine Kräfte reichen sicherlich schon jetzt aus, um den deutschen Handel in seinem Gebiet rasch zu vernichten. Und Deutschland hat in China viel zu verlieren.

Dass der neue Pakt nur gegen den Kommunismus gerichtet ist, hat hier niemand auch nur einen Augenblick geglaubt. „Min Pao“, das führende Kuomintang-Blatt in Shanghai, erklärte, dass „Deutschland und Japan gemeinsam planen, ihre imperialistische Politik hinter dem Schild des Anti-Kommunismus zu verbergen“. „Sin Wen Pao“, eine der größten Tageszeitungen Shanghais, schreibt: „Deutschland hat durch die Unterzeichnung des Paktes Japan in seinem Angriff auf China unmittelbar unterstützt. Japan wird den Pakt als Werkzeug zur Förderung seiner aggressiven Politik in China benützen, da er ihm die Hände für Aktionen in China freimacht.“

„Ta Kung Pao“, die angesehenste chinesische Zeitung, die einen maßgebenden Einfluss auf die chinesische öffentliche Meinung besitzt, appelliert an die Regierung, die deutsch-chinesischen Beziehungen sorgfältig zu überprüfen. Die „China-Times“ warnt Deutschland, die freundschaftlichen Beziehungen mit China, das allein von Januar bis September 1936 für rund hundert Millionen chinesische Dollars deutsche Waren bezogen hat, nicht aufs Spiel zu setzen. „Central Daily News“ erklären, dass China empört sei, weil Deutschland einen Pakt, der den Frieden im Fernen Osten berührt, abschließt, ohne China auch nur mit einem Wort vorher zu verständigen. „Shih Chieh Shen Pao“ fordert von England, dessen Interessen im Pazifik durch den Pakt bedroht werden, dass es fortan enger mit China zusammenarbeite.

Und England lässt sich nicht lange bitten. Der deutsche Handel ist in China nicht so unangefochten, dass er die englische Konkurrenz nicht zu fürchten brauchte. Bisher kam es ihm zugute, dass Deutschland die ungleichen Verträge mit China seit dem Kriegsende aufgehoben hat. So fand China bei Regierungs- und Privatkäufen in Deutschland günstigere außenpolitische Bedingungen. Die Regierungskäufe sind hier besonders wichtig; sie umfassen die Lieferung von Kriegsmaterial, die Ausrüstung von Arsenalen und Lufthäfen, die Aufträge für Eisenbahnen, Straßenbauten, Schiffahrt, Flussregulierungen und für die industriellen Unternehmungen, die sich direkt in der Hand der Regierung befinden. Diese Käufe sind in der Zollstatistik nicht enthalten, da die Einfuhr für die Regierung zollfrei ist. Man weiß aber auch so, dass Deutschland gerade auf diesem Gebiet der wirksamste Konkurrent Englands, Amerikas und Japans gewesen ist.

Japans Ziel, den chinesischen Markt zu monopolisieren und China in japanische Kolonien und abhängige Pufferstaaten zu zerstückeln, hat die englische Politik gewandelt. Jetzt werden Nanking und Tschiang Kai-shek bei der Unterordnung des Südens, der Zentralisierung der Staatsfinanzen und der Sanierung der chinesischen Währung unterstützt; englische und amerikanische Hilfsaktionen stehen in Aussicht, eine Stärkung der militärischen Kräfte Chinas ist erwünscht. Diese Politik brachte größere chinesische Regierungskäufe in England und Amerika. Immerhin behielt Deutschland einen bedeutenden Platz im Handel mit der chinesischen Regierung: durch Abschluss eines Tausch-Vertrages der die Lieferung von Kriegsmaterial und Maschinen für hundert Millionen Dollars gegen sukzessive Abnahme chinesischer Rohstoffe vorsah. Gleichzeitig wuchs der deutsche Handel mit China, wie die Zollstatistik zeigt, im raschen Tempo weiter, während der englische und der amerikanische zurückgingen. Nach einer Untersuchung der shanghaier englischen Handelskammer verkaufen den Deutschen fünfzehn bis zwanzig Prozent billiger als ihre europäischen und amerikanischen Konkurrenten, wenn es sich um größere Industrieaufträge handelt, und sie gewähren außerdem mehr Kredit. Das reich versichert sich gegen Kreditverluste und bewilligt einen Zuschuss von fünfundzwanzig Prozent zu einem Spezialfonds der Umsatzsteuer. So werden Devisen eingehandelt, und in die Zeche teilen sich der deutsche Steuerzahler und der chinesische Konsument. Da sich Deutschland für seine Lieferungen an die chinesische Regierung mit Rohstoffen bezahlen lässt, die es zum größten Teil ohnehin beziehen müsste, ist die Bilanz des übrigen Handels höchst aktiv zugunsten Deutschland. England bezieht aus China fast das Dreifache und Amerika das Sechsfache, was Deutschland kauft. Solch ein „Austauch-Vertrag“ kann sich für die chinesische Regierung gewiss nur lohnen, wenn freundschaftliche Beziehungen zwischen China und Deutschland bestehen, und wenn China in seiner höchsten nationalen Not, seiner Abwehr Japans aus Deutschland sein Rüstungs- und Industriematerial beziehen kann. Die Land ändert sich aber ganz radikal gegenüber einem Deutschland, das sich mit Chinas größtem Feind verbündet und Kriegsrohstoffe aus China bezieht, um alsdann Japan mit Mordwerkzeugen auszurüsten; das also die in China eingeheimsten Devisen zur Finanzierung der deutsch-japanischen Kriegsvorbereitung braucht.

Diese Situation nutzt jetzt England aus, um einen entscheidenden Schlag gegen die deutschen Handelspositionen in China zu führen. Soeben wurden neue englische Maßnahmen zur Finanzierung des China-Handel getroffen, ein besonderes Botschaftsamt wurde in Shanghai eröffnet. Gleichzeitig führt die englische Presse in China eine Kampagne für die Annullierung des deutsch-chinesischen Austausch-Vertrages. Shanghais führendes englisches Organ weist darauf hin, dass die deutsch-japanischen Vereinbarungen über die Lieferung von Kriegsmaterial gegen Rohstoffe aus der Mandschurei im deutsch-chinesischen Austausch-Vertrag ihr Ergänzung finden:

„Es wäre tatsächlich eine Ironie, wenn Chinas Erze und Rohstoffe in Gestalt von Munition nach dem Fernen Osten zurückkämen, um zu helfen, eine Waffe gegen China zu schmieden. Es ist jetzt erwiesen, dass deutsche Ratgeber, Flugzeuge und Munition, ohne Wissen der chinesischen Regierung, der früheren Kantonregierung zur Verfügung standen, und dass von derselben deutschen Seite ein Arsenal in Kwangtung ausgerüstet wurde. Das wirft ein neues Licht auf das enge Einverständnis zwischen den japanischen und deutschen Kriegsministerien.“ Das ist auch ein englischer Kommentar zu der Beschäftigung deutscher Militärs (unter Führung des Generals von Falkenhausen) im Stabe Tschiang Kai-sheks.

Die englischen „North-China Daily News“ schreiben zum Pakt: „Ein Blick in die Weltpresse zeigt die Absicht, die rote Mütze auf jedes Haupt zu setzen, das sich nicht vor dem Fascismus beugt. Obgleich die spanische Regierung nicht kommunistisch ist, wird ihre Tätigkeit von den fascistischen Kommentatoren als die von ‚Marxisten‘, ‚Roten‘ und ‚Kommunisten‘ hingestellt. Ohne Zweifel: ist das gegenwärtige Freundschaftsband zwischen Deutschland, Japan und Italien nur fest genug geknüpft, so wird die chinesische Regierung in nicht allzulanger Zeit in den Telegrammen als bolschewistische Organisatin figurieren.“

Die hiesige japanische Presse verspricht Deutschland – als Kompensation für kommende Handelsverluste in China – einen gewaltigen Aufschwung seines Handels mit Japan, Rekordkäufe von Maschinen für die Rüstungsindustrie und von anderem Kriegsmaterial. Ein schwacher Trost. Als kürzlich Doktor Otto Kiep, der Vorsitzende des deutschen Wirtschaftsausschusses für den Fernen Osten, in Berlin über die großen Aussichten Deutschlands im fernöstlichen Handel sprach, hat er auf China und nicht auf Jaan hingewiesen. Er sagte, dass ein Sechstel der gesamten europäischen Einfuhr aus dem Fernen Osten komme, und ein Viertel der europäischen Ausfuhr dorthin verschifft werde. Er hat freilich nicht hinzugefügt, dass Japan um die Monopolisierung dieses Marktes kämpft und allen europäischen Handel von dort verdrängen will. Aus Japan selbst sind kaum Rohstoffe für Europa zu holen. Und Industrieartikel? Japan hat mancherlei für Europa übrig – aber ob der deutsche Verbündete ihm dafür seine Grenzen öffnet? Japan selbst hat schwer um die Bilanzierung seines Außenhandels zu kämpfen. Seine Einfuhr aus Europa geht von Jahr zu Jahr zurück, seine Ausfuhr hat eine langsam steigende Tendenz. Die starke Aktivbilanz seines Handels mit der Mandschurei und mit China wird auf das Dringendste zur Kompensierung seiner passiven Bilanz im Handel mit den britischen und amerikanischen Märkten im Stillen Ozean benötigt. Japan braucht Kredite zur Ausrüstung seiner Kriegsindustrie und zur Vervollständigung seiner Kriegsmaschine. Deutschland gewährt diese Kredite und lässt sich dafür Teile der USSR und des britischen und französischen Imperiums versprechen. Es ruiniert seinen Handel mit China, damit Japan kriegsfähig wird und den europäischen Handel aus Ostasien verdrängen kann. Das ist die Konsequenz der nationalsozialistischen Kriegspolitik, das liegt im Interesse der Rüstungsindustrie. Und das ist die „Rettung Europas vor dem Kommunismus“.